Anders als in Deutschland wird die Religion hier richtig gelebt und geliebt. Unser Watchman David hat nicht lange mit der Frage auf sich warten lassen: „And you? Do you believe in the living god?“ Und der lebende Gott ist nicht einfach nur ein bisschen Liturgie und eine trockene Bibelstunde, sondern die feste Überzeugung, dass Gott nicht als abstrakte Vorstellung existiert, sondern als konkret vorhandene und agierende Persönlichkeit. Und so wurden wir von ihm auch prompt mehrfach zu einem Gottesdienst in seine Kirche eingeladen. Weil sich Mirella eine schmucke Gospel-Veranstaltung á la Whoopie Goldberg oder Blues Brothers vorgestellt hat, machten wir uns vergangenen Sonntag auch prompt auf den Weg dorthin. Beide Autos voll geladen mit den beiden Familien.
Wir fahren also nach Luzira, einen Stadtteil weit im Osten von Kampala, um David’s Pentecostal Church zu besuchen. Von der asphaltierten Straße biegen wir irgendwann ab und fahren durch enge Gassen zwischen wackeligen Häusern, Wellblech- und Lehmhütten. Irgendwann halten wir auf einem mehr oder weniger verwahrlosten Platz zwischen einigen Häusern an und parken direkt vor der Haustür von irgendjemandem. Tatsächlich klingt schon Kirchenmusik in der Luft. Bloß wo ist die Kirche?
Durch einen schmalen Eingang hinter einem der Hütten geht es ins Halbdunkel einer großen Halle. Die Wände bestehen noch nicht einmal aus Wellblech, sondern aus einfachen, verbeulten Blechen. Das Dach besteht aus Wellblech, das mit Stricken an den einfachen Hölzern befestigt ist, die den Dachfirst bilden. Der Boden ist derselbe rote Staubboden wie draußen auf der Straße. Wo ich den Altar erwartet hätte steht eine Empore mit einem Sofa, das für uns - die Ehrengäste - reserviert ist. Rechts daneben ein Tisch, auf dem ein elektrisches Piano steht, ein paar Bücher und ein ferngesteuertes BMW Auto, das dem Sohn des Preachers gehört. Auf einem Sessel daneben sitzt momentan noch der Preacher.
Während wir eintreten, ist der Gottesdienst mit ca. 40 Anwesenden im Alter von 3 bis 50 schon im Gange. Gerade erzählt eine Frau ein „Testimonial“, in dem sie berichtet, wie sie den lebendigen Gott im Alltag gespürt hat. Ihr folgt ein Mann und dann wird gesungen. Die Klarheit, Lautstärke und Inbrunst der Gemeinde sind tatsächlich beeindruckend. Da kann sich sogar jeder Weihnachtsgottesdienst in Deutschland verstecken. Für einen Moment kommt tatsächlich ein echtes Gospel-Feeling auf, aber kaum bewegt sich einer von uns vieren auf dem Sofa, auf dem direkt vor der Gemeinde trohnen, schon steigt ein Gestank nach Katzenpipi und Moder vom Sofa auf. Ich bin nur heilfroh, dass keiner die Kinder versteht, wenn sie sich auf deutsch darüber beschweren.
Schließlich ergreift der Preacher das Wort und heißt uns zunächst herzlich willkommen woraufhin ich mich als Familienoberhaupt ebenfalls erhebe und mich meinerseits sehr herzlich für die Einladung bedanke. Und dann legt der Preacher los… ein richtiges Video davon zu machen, scheint mir absolut unpassend zu sein, aber ich lasse ab und zu mal die Kamera mitlaufen, um etwas Ton aufzunehmen. Der Preacher legt sich so richtig ins Zeug und wettert, droht, schimpft und beschwört die Gemeinde voller Inbrunst „you must fear the Lord!“. Mir fällt es schwer inhaltlich zu folgen, aber beeindruckend ist es auf jeden Fall.
Adrian wird es inzwischen etwas langweilig, so dass er kurzerhand aufsteht und ein wenig über die Empore schlendert, hinüber zum Preacher und sich direkt neben ihm hinsetzt, um ihn zu beobachten und vielleicht auch, um zu verstehen, warum der Mann denn da so schreit. Leona, die natürlich gar nichts versteht, ist inzwischen schon so heiß und langweilig, dass sie sich zwischen Mirella und mir auf dem Sofa hinfletzt, so dass ihr der Rock bis an die Unterhose hochrutscht. Während Mirella und ich sie mit eindringlichen Zischlauten und drohenden Blicken ermahnen, sich noch ein wenig zusammen zu nehmen, hat Adrian das BMW Auto entdeckt und will damit quer über die Empore fahren. Ohhh nein… ab in die Ecke mit ihm, hinter den Tisch mit dem kleinen elektrischen Piano.
Aber zum Glück steuern wir schon kurze Zeit später dem Höhepunkt entgegen, dem „Blessing of the Lord“. Ähnlich unserer Eucharistie stellen sich diejenigen, die sich berufen fühlen vor die Empore, „to feel the power of the Lord and to get rid of evil sprits“. Während die Gemeinde „Let the spirit oft he Lord come down“ intoniert, legt der Preacher einem nach dem anderen die Hand auf die Stirn und durchdringt ihn mit „the spirit ot the Lord“. Bei den meisten führt es zu einem erhabenen oder erleichterten Ausdruck, eine Frau fängt an wie wild am ganzen Körper zu zittern, eine andere stürzt prompt zu Boden und bleibt dort liegen, bis sie sich nach einigen Minuten wieder aufrappelt. Ich muss schon sagen, das ist sehr beeindruckend.
Danach wird noch ein wenig Geld gesammelt, damit der Boden der Empore mit noch mehr Kacheln hergerichtet werden kann. Ein Sack Zement kostet 24.000 Shilling (ca. 10 €) und wir spenden 10.000 Sh., der Rest kommt von der Gemeinde. Dann ruft der Prediger noch Personen aus der Gemeinde auf, die ebenfalls noch einige Worte an alle richten wollen. Jennifer hält noch ein kurze, aber sehr prägnante Predigt, die bei der Gemeinde sehr gut ankommt, die Predigt des Preachers aber fast in den Schatten stellt. Unser David dann ebenfalls, und dann fühlt sich sogar Mirella berufen, ein paar Dankesworte an die Gemeinde zu richten. Und weil das so gut ankommt, bittet der Preacher auch mich, noch ein paar Worte zu sprechen. Das tue ich gerne, auch wenn ich mich dabei zurückhalte.
Es wird noch ein wenig weiter gepredigt, während Adrian entdeckt wie toll laut es donnert, wenn er mit der Faust gegen die Blechwände haut. „The nice and friendly family from Germany“ bringt ihren Sohn mit eindeutigen Drohgebärden und nach einem kurzen Handgemenge zum Stillsitzen; aber ich vermute, der Preacher hat auch erkannt, dass es so langsam Zeit ist, zum Schluss zu kommen und beendet nach ein paar weiteren Ermahnungen an die Gemeinde den Gottesdienst. Total nett und offen verabschieden sich viele Gemeindemitglieder mit dem typisch weichen afrikanischen Handschlag von uns. Mit David’s Familie setzen wir uns wieder in unsere Autos und fahren Richtung Heimat, natürlich nicht ohne vorher vom Preacher noch einmal zu sich nach Hause eingeladen zu werden. Aber wir sind erstmal ganz auf irdische Dinge eingestellt: Leona muss pieseln, Mirella’s Magen knurrt laut und vernehmlich und Adrian muss dringend 100m rennen oder irgendetwas treten oder boxen.
Auf der Rückfahrt erzählt mir unser Watchman David noch ein wenig: Er war bis vor kurzem noch in einer anderen christlichen Kirche, bis er mehr oder weniger zufällig auf einen anderen David (aus Tansania) gestoßen ist. David aus Tansania war ursprünglich Ingenieur und hat in Tansania als Tourist Guide gearbeitet. Er war dort auch verheiratet. Dann hat er irgendwie einen Kontakt zu den Mormonen bekommen, die ihn auf eine Ausbildung nach Australien geschickt haben, um Mormonenprediger zu werden. Dann ging er nach Uganda, um dort eine Kirche aufzubauen. Den Mormonen, die ihn dort besuchten und finanzierten, war die Kirche aber nicht mormonisch genug, deshalb haben sie ihn kurzerhand sitzen lassen und er ist zurück nach Tansania gegangen. Dort hat er aber leider festgestellt, dass seiner Frau erzählt wurde, er würde nicht mehr wiederkommen und deshalb hatte sie sich auf und davon gemacht, um einen anderen zu heiraten. Daraufhin ging David von Tansania wieder zurück nach Uganda, um dort bei seinem Onkel zu leben. Der hat ihn nach ein paar Monaten aber auch vor die Tür gesetzt und schließlich stieß er irgendwie mit unserem Watchman David zusammen, der ihn mit zu sich nach Hause nahm. Zuhause nahm Jennifer, die Mutter von unserem Watchman David und sechs weiteren Töchtern, David aus Tansania auf. Der begeisterte unseren Watchman David mit der Idee, eine neue Kirche hier in Kampala zu gründen: David aus Tansania wäre der Prediger, unser Watchman David könnte die Kirchenmusik machen, weil er gut Klavier spielt. Und so geschah es dann wohl auch, obwohl unser Watchman David und seine Mutter Jennifer einen gewissen Vorbehalt doch nicht ganz los werden können.
Nun, ich habe die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen, deshalb erlaube ich mir hier kein überhebliches, bewertendes oder abschließendes Urteil. Aber zwei Dinge weiß ich:
In dem Moment, als Jennifer ihre kurze und prägnante Predigt hielt, spürte ich beim Preacher einen gewissen Neid gepaart mit einem persönlichen Geltungsdrang, so in etwa „hey, das hier ist meine Gemeinde, das hier sind meine Pfründe!“. Und das andere ist das Handauflegen durch den Preacher, um den anderen zu befreien, zu erlösen, oder was auch immer. Dies ist ein Extrem einer religiösen Praxis, die unter „Fremderlösung“ fällt. Und damit genau dem gegenübersteht, was ich für richtig und vor allem hilfreich halte: Selbsterlösung. D.h. es obliegt jedem einzelnen, sich zu erkennen, an sich zu arbeiten, sich zu verbessern, und zu vervollkommnen. Alles andere sind in meinen Augen Wege in eine Abhängigkeit und nicht in Richtung Freiheit. Und dies halte ich gerade im afrikanischen Kontext für umso wichtiger. Aber dies ist wohl eine individuelle Erkenntnis und Entscheidung. All das wird aber in den Schatten gestellt von der unbändigen Begeisterung, dem Engagement und der Hingabe der Menschen, von der ich mir als vergleichsweise spröder, trockener, konservativer und stets kritischer Westeuropäer so manche Scheibe abschneiden kann und sollte.
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