Saturday, 10 January 2009

Der Tisch

Hier gibt es sowas ähnliches wie IKEA. So eine Art Möbel-Mitnahmemarkt. Naja, an der Straße halt. Die selbsternannten Schreiner arbeiten hier in ihren Workshops entlang der Nsambia Road und fertigen mengenweise Standardware zum Mitnehmen: Betten, Regale, Tische, Schränke, Kommoden, Sessel, Stühle, Hocker, eigentlich fast alles was das Herz begehrt.



Es sei denn man hat eine sehr kreative Frau, wie ich sie habe. Die möchte natürlich was anderes haben. Die Arbeitszeit, die in Deutschland immer Kostenfaktor Nr. 1 ist, ist hier kaum spürbar. Hier sind die Materialkosten das Teuerste. Dementsprechend sollte doch so eine kleine Sonderanfertigung weder schwierig noch teuer sein.
Mirella hatte sich lang und ausgiebig mit den Jungs von einer Schreinerei unterhalten und ihnen ausführlich erklärt, was sie haben wollte: Sie wollte einen niedrigen Sofatisch in den Maßen 4.4 ft. x 2 ft. dunkles Holz, vorne eine Schnitzerei mit Elefanten und Giraffen und rundum dicke Rundhölzer. Zwischen den Hölzern soll die Tischplatte eingelegt werden. Hier das gewünschte Endergebnis schon mal vorweg:

Die Schreiner zeigen ihr ein Foto von einer Sitzbank, die sie normalerweise fertigen und die ganz ähnlich ist. Mirella ist begeistert:
- „Yes, exactly like this. Exactly! Only that you do not put several pieces of wood for seating, you just put one large piece of wood so it looks like a table. And you make it a little longer and broader.”
- “Sure Madam, yes.”
- “Okay, do you remember the measurements?”
- “Sure Madam, yes.
- “You don't want to write them down?”
- “No Madam, no problem.”
- “Okay, so when will it be ready?”
- “1 week Madam.”

Zuhause erzählt sie mir begeistert von “ihren netten Jungs draußen auf der Nsambia Road” und dass wir den Tisch Ende der Woche abholen können.
1 Woche später: Wir kommen hoch motiviert vorbei, um den Tisch einzuladen. Die Jungs lächeln uns an, während sie sagen „oh, it’s not ready yet.“ Sie zeigen uns aber, was sie schon gebaut haben. Der Tisch ist zu kurz zu schmal, eben eher wie eine Sitzbank und nicht wie ein Sofatisch. Mirella beschwert sich, was die Aufmerksamkeit von immer mehr Kollegen, deren Bekannten, Freunden usw. auf sich zieht. Es wird von Englisch nach Luganda und andere lokale Dialekte hin- und her übersetzt bis sich nach ca. 10 Minuten alle Anwesenden einig sind „Yes, the table is too small.“ Aber dann: „Madam, you will have to pay extra, because we have to pay for more material.“ Mirella rauft sich die Haare, denn die Maße waren doch von Anfang an klar angegeben worden, oder??? Okay, sie einigen sich auf einen kleinen Aufschlag und in 2 Tagen soll der Tisch fertig sein.

Mirella hat die Lust verloren und so fahre ich jetzt jeden Tag nach der Arbeit bei ihren Freunden auf der Nsambia Road vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Nach drei Tagen zum ersten Mal. Dann ist unser Tisch leider gerade nicht da. „It’s still in the workshop, boss“.

Ich bin ja geduldig und komme am nächsten Tag wieder und das neue Außengerüst ist fertig. Die Außenmaße sind korrekt, aber es fehlt die Querverstrebung oberhalb der Frontplatte mit den Tieren. Wie soll die Tischplatte ohne vier Rundhölzer rundherum gehalten werden? Ich erkläre es dem ersten. Der nickt. Alle anderen schweigen. Dann erkläre ich es dem nächsten, der nickt auch. Jetzt kommt Bewegung in die Runde. Andere Schreiner kommen mit dazu. Nur die Hälfte von ihnen spricht Englisch. Es entstehen parallele Diskussionen in mehren Sprachen und Dialekten. Das Nicken nimmt zu, die leeren Blicke nehmen ab. „Yes boss, we will put a fourth piece of wood up here.“ Glücklich strahle ich in die Runde, hocke mich aber noch mal auf den Boden und lege meinen Arm genau an die Stelle, an der das zusätzliche Rundholz eingebaut werden soll. Alle antworten und nicken im Chor, weiße Zähne blitzen auf als die Münder mit glücklichem Verstehen lachen.

Dann die nächste Hürde: Die Tischplatte ist zu groß. So wie sie jetzt ist, würde sie nicht zwischen die Rundhölzer in den Tisch hineinpassen, sondern würde oben auf den vier senkrechten Pfosten aufliegen. Das wollen wir aber nicht. Also erkläre ich das als nächstes. Betretenes Schweigen in der Runde. Mehr Leute kommen dazu. Ungläubiges Gerede in den hinteren Reihen, was will der Muzungu da?? Ich erkläre es noch mal. Und noch mal. Lasse die Platte oben drauflegen, demonstriere, dass sie zu groß ist und lege sie so mit einer Kante in das existierende Holzgerüst hinein, um zu zeigen, wie die Platte in dem Tisch drinnen liegen soll, und nicht obenauf. Der erste hat’s kapiert und springt mir zur Seite, übersetzt den anderen auf ihren jeweiligen lokalen Dialekt. Mehr und mehr fangen an zu nicken und ich merke schon wieder, wir sind auf dem richtigen Weg. Aber hinten in der zweiten Reihe sind noch zwei, die noch nicht den Glanz des Verstehens in den Augen haben und die noch etwas gleichgültig schauen. Keine Ahnung, ob die hier arbeiten, als ich kam, waren sie auf jeden Fall noch nicht da, aber egal. Hier müssen alle Entscheidungen und Vorhaben als Konsens beschlossen werden, sonst wird das nichts. Also turne ich nochmal in Anzug und Krawatte auf dem Bürgersteig mit dem halbfertigen Tisch und der zu großen Tischplatte herum, diesmal immerhin mit der verbalen Unterstützung der meisten Anwesenden. Die beiden Angesprochenen nicken widerwillig. Nachdem ich schwitzend mit der dritten oder vierten Wiederholung zu Ende gekommen bin, herrscht erst mal Schweigen. Dann erwidert mir einer „Boss, you know, those two, they say, that if you want to put the board into the table, it won’t fit. It will have to be cut!”
Mit einem glücklichen Seufzer der Erleichterung strahle ich sie übers ganze Gesicht an: “Yes, exactly, it must be cut.” Und um ganz sicher zu gehen, ritze ich mit meinem Daumennagel eine ungefähre Linie in das Brett, an der gesägt werden müsste. Beifälliges Gemurmel zeigt mir, wir sind auch hiermit durch. Puhhh, dann müsste ich eigentlich morgen den Tisch abholen können, oder? „Yes boss, tomorrow you can get it.“

Ich komme also nach zwei Tagen wieder vorbei, aber der Tisch ist nicht da. Aber ich habe ja Nerven wie Drahtseile und frage gutmütig wo er denn sei. „It’s in the workshop, boss, it’s quite far away.“ Okay Jungs, ich bin weiß und ich bin neu hier, aber ich lasse mich nicht für dumm verkaufen: „Allright, then get into my car, we will drive there. You direct me.“ Etwas überrascht steigt der Carpenter in meinen Wagen und wir fahren die Asphaltstraße hinunter, biegen links ab auf einen Schotterweg, dann auf einen Weg, der eigentlich mehr aus Schlaglöchern als aus Weg besteht, dann wird der Weg enger, die Häuser an der Seite weichen Lehm- und Wellblechhütten, es gibt parktisch nur noch Fußgänger, Mopedfahrer, spielende Kinder und Hunde auf der Straße. Noch mal Links und noch mal um die Kurve, dann geht es rechts an den Straßenrand heran. Dort steht eine Reihe Holzbaracken in Hufeisenform; in der Mitte ist ein Haufen Hölzer vermischt mit altem Gerät und Abfall. Wir suchen uns einen Weg dort hindurch und kommen zu einer der Holzbaracken. Dort steht ein Mann, bedient eine Kreissäge und schaut mich fragend an. Mein Carpenter deutet nach hinten ins halbdunkle in der Baracke. Dort steht unser zu großes Holzbrett und wartet darauf, gesägt zu werden. Auf der anderen Seite steht der Rest unseres halbfertigen Tisches, damit genau Maß genommen werden kann.

Und erst jetzt verstehe ich. Und ich schäme mich für die Arroganz und die Borniertheit, mit der ich die Handwerker beurteilt habe. Es gibt für alle hundert oder zweihundert Schreiner an der Nsambia Road nur diese eine Kreissäge. Alle kaufen ihre Hölzer irgendwo und lassen sie hier sägen. Die bestellen bei ihm im Prinzip „Holz für drei Betten und zwei Regale, hier hast du das Geld dafür.“ Dann kommen sie ein paar Tags später und holen ihr Holz ab, um es weiter zu verarbeiten. Abgeholt und transportiert werden die bis zu zwei Meter langen Hölzer und Bretter zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Mofa über eine Straße, die eigentlich ihren Namen kaum verdient. Und das machen hundert oder zweihundert Schreiner tagtäglich. Dass dabei überhaupt etwas entsteht, ist schon fast ein Wunder. Und unser Schreiner hat unseren halbfertigen Tisch (1,8 m x 1m x 1m) mit seinen fast 20 kg samt Platte auf dem Gepäckträger eines Mofas durch die Schlaglöcher zum Sägemeister transportiert, um ihn von seiner Standardarbeit abzuhalten und ihm unsere Sonderwünsche zu verklickern. Normalerweise hat jeder von den Carpentern die Maße, Muster und Bauweise aller seiner Möbel genau im Kopf und alles Holz, alle Schnitte, alle Lieferungen laufen nach einem genau abgesprochenen Muster ab. Es gibt denjenigen, der die Muster schnitzt, denjenigen, der nagelt und denjenigen, der poliert und streicht. Hiervon abzuweichen ist schon fast ein Sakrileg. Für diejenigen, die wahrscheinlich schon seit sie 12 Jahre alt sind auf diese Art und Weise gearbeitet haben, kein Englisch beherrschen und deshalb auch selten mit den Sonderwünschen der Muzungus konfrontiert waren, sind diese Sonderanfertigungen kaum vorstellbar.

Dinge, die für mich total banal sind, weil ich Holz in zehn Baumärkten in München mit max. 15 Minuten Wartezeit nach meinen persönlichen Vorstellungen für Null Euro sägen lassen kann, sind hier alles andere andere als selbstverständlich und stellen ein schwieriges Unterfangen dar. Die eingeschränkte und vereinfachte Produktpalette ist ein Weg, um ungeschulte Berufseinsteiger mit ins Handwerk zu integrieren, ohne allzu große Zugeständnisse bei der Qualität zu machen. Ich habe wohl den gleichen Fehler gemacht, den die ersten britischen Kolonialisten auch gemacht haben: Die lokalen Gegebenheiten nach europäischen Maßstäben zu beurteilen.

Zwei Tage später ist unser Tisch dann fertig und wir holen ihn zufrieden und dankbar ab. Am nächsten Tag zieht Mirella los, um sich ein Ecksofa aus Rattan bauen zu lassen…

Oh nein …

Es gibt auf der ganzen Nsambia Road kein einziges Ecksofa ;-)

3 comments:

  1. diesmal bin ich ganz zuversichtlich! Die waren sooo nett!

    ReplyDelete
  2. hahahahahahahaahah noooo Lela and her ideas! :)
    ....your blog is so good! thanks for the effort to write it..it makes this distance between us feel kind of smaller. Kisses! Nina

    ReplyDelete
  3. Das stimmt, Euer Blog ist wirklich informativ und amüsant! Ich lese ihn sehr gerne! Und ich drücke alle Daumen fürs Ecksofa ... wird schon klappen!

    ReplyDelete