Tuesday, 6 July 2010

The road to Kitgum

07:00 Aufstehen und Frühstueck in einem Haus in Gulu, das momentan leersteht, und dann von einem bald einreisenden Entwicklungshelfer in Gulu bezogen werden soll. Der Plan ist, kurz das AMFIU Büro zu besuchen, und dann mit Paul Otim weiter nach Kitgum (nahe der sudanesischen Grenze) zu fahren, um dort eine Spar- und Kreditgenossenschaft, die vor kurzem einen Betrugsfall von ca. 300 Millionen Uganda Shillings (ca. 110.000 Euro) hatte, zu besuchen und zu untersuchen.

08:00 Treffe Paul Otim, AMFIU’s Repräsentatnt in AMFIU’s Zweigstelle im Norden. Kann mich nicht zurueckhalten, ihm nahe zu legen, dass die Putzsachen und die leeren Kartons nicht direkt neben seinem Schreibtisch abstellen soll, sondern in einer Ecke hinter der Tür...

08:20 Ein Kollege von einem anderen Verband kommt hereingeschneit und lädt uns ein, an seinem Workshop ein paar nette Worte zu sagen.

09:00 Weil ich gesehen wurde, müssen wir auch einen Höflichkeitsbesuch schräg gegenüber beim Microfinance Support Center abstatten.

09:25 Anruf von Eckhard, meinem DED-Kollegen, der in Kitgum wohnt und gerade auf dem Weg dorthin ist. Sein Wagen ist liegen geblieben. Eine der beiden Schrauben, die die Bremsscheibe halten, ist gebrochen. Er braucht eine Ersatzschraube, ob ich ihm die vielleicht besorgen und mitbringen könnte. Klaro.

09:45 Auftritt beim Workshop des anderen Verbandes. Paul Otim erzählt was von AMFIU, ich erzähle etwas von individueller Verantwortung und wettere gegen Obrigkeitshörigkeit. Höflicher Applaus, ich glaube ich habe am Zielpublikum vorbeigeredet. Egal, ich kann nicht alle Seelen bekehren und retten, ich will jetzt nach Kitgum.

10:10 Wir fahren zu einer „Werkstatt“.

Erstaunlicherweise finden die dort die Schraube nicht, die wir brauchen. Aber vielleicht hat der Inder unten am Kreisverkehr so eine Schraube.

10: 24 Der Inder hat die Schraube nicht. Aber vielleicht hat einer der Schrotthändler so eine Schraube?

10:57 Auf dem ersten Schrottplatz ist keine Schraube zu finden, auf dem zweiten auch nicht und auf dem dritten auch nicht.

10:59 Mein Kollege Paul Otim bekommt einen Anruf von der Bank, dass seine EC-Karte fertig zum abholen ist. Ob wir die nicht eben abholen könnten? Natürlich, gerne (*%$!@#??!)

11:17 Während er in der Schlange steht, fahre ich zu der einen Bäckerei, und kaufe ein paar Muffins und Donuts, denn so langsam meldet sich schon der erste Hunger.

11:23 Ich habe schon Hoffnung, dass wir die Schraube nicht finden und vielleicht weiterfahren können, aber dann meldet sich mein Kollege Eckhard mit einer glänzenden Idee: Es gibt da noch diese KFZ-Berufsschule nur ein paar Kilometer ausserhalb von Gulu (entgegengesetzte Richtung von Kitgum), die auch viele Wagen von anderen NGOs warten. Die haben bestimmt so eine Schraube. Sicher geht das, ich kann ja meinen Kollegen nicht am Strassenrand verenden lassen :-/

11:47 Berufsschule gefunden, wir begrüssen alle freundlich... How are you? Fine. And how are you? Also fine, thank you. Only my friend, he is only somehow fair. His car broke down on the road to Kitgum so we were wondering if you could... Sure, let me look for it. You wait here while I look...

12:23 Wir haben eine Schraube gefunden, die so ähnlich sein müsste, wie die von Eckhard’s Auto. Jetzt aber los!

12:24 Paul Otim macht mich dezent darauf aufmerksam, dass es schon fast Mittag ist, und dass wir uns etwas zu essen besorgen sollten. „Ich bin aber nicht hungrig“ knurre ich gereizt, aber da kenne ich meine Pappenheimer bereits zu gut. Wenn es Essenszeit ist, dann muss gegessen werden. Zumindest können wir uns darauf einigen, nur ein paar Spiesschen mit zu nehmen.

12: 47 Ich kann es kaum glauben, wir sind endlich auf der Strasse nach Kitgum! Jetzt muss ich wieder ein wenig Zeit reinholen, also gib Gas!

12:58 Ich verlasse die Asphaltstrasse, fahre auf einer Dirt-Road weiter. Ist aber egal, schliesslich fahre ich einen praktisch unzerstörbaren Toyota Hilux.


Links und rechts sind noch Fussgänger und Radfahrer unterwegs und ein wenig mulmig ist mir schon dabei.

Ab und zu, wenn ich durch ein Schlagloch fahre, habe ich das Gefühl, dass mir der Wagen hinten zur Seite ausbricht, aber mit einem kurzen Gegenlenken vorne kommt er gleich wieder in die Spur. Also weiter.

Dann eine Serie von Schlaglöchern, aber noch nicht mal besonders tiefe. Wieder bricht der Wagen hinten aus. Die Hinterachse des Wagens springt leicht hoch und setzt leicht nach rechts versetzt wieder auf. Als Folge steht der Wagen für einen Moment leicht schräg auf der Strasse, so als ob ich links auf die ansteigende Böschung zufahre. Geistesgegenwärtig lenke ich dagegen und nehme das Steuer nach rechts rüber. Die Vorderachse steht auch wieder gerade auf der Strasse, aber die Hinterachse scheint am Springen gefallen gefunden zu haben und springt wie ein Gummiball wieder leicht nach oben. Diesmal zur Abwechslung nach links, so dass der Wagen jetzt scheinbar auf die rechte ansteigende Böschung zurast. Ich lenke wieder nach links, diesmal etwas stärker, um dem Spuk ein Ende zu machen. Die Hinterachse dopst wieder auf und nieder, ich lenke wieder dagegen und fahre nun fast schon im 45 Grad Winkel auf die rechte Strassenseite zu. Genau dort fährt ein Vater auf einem Fahrrad mit seinem kleinen Sohn auf dem Gepäckträger. Ich rase genau auf ihn zu. Die Zeit ist wie eingefroren. Er ist keine 10 Meter vor mir und ich fahre, springe und schlittere mit gut und gerne 80 km/h in Schlangenlinien über die Strasse und genau auf ihn zu. Ich habe scheinbar endlos Zeit, an alles mögliche zu denken: „Den Aufschlag wird er nie überleben – ich wollte nie, dass mir so etwas passiert – vor allem wollte ich so etwas nie jemand anderem antun – ein Kind zu töten ist das Schrecklichste, was ein Mensch tun kann – welches schreckliche Leid werde ich hier über eine Familie bringen – wie soll ich danach noch jemandem gerade in die Augen schauen köennen – ich bin doch ein alter Trottel, so viele Leute hatten mich vor diesen hüpfenden Pick-Ups gewarnt, aber ich wollte ja nicht hören ...“ Wahnsinn, was man in solchen Momenten alles denken kann. Ich glaube so muss es sein, wenn man stirbt, und in einem einzigen Moment an sein ganzes Leben und das aller Freunde und Bekannte denkt. Ich reisse das Lenkrad noch einmal nach links rüber und wie durch ein Wunder setzt das Hinterteil noch einmal auf, der Wagen schiesst nun diagolal auf die linke Strassenseite zu, diesmal steht dort ein Baum. Wieder hundert Gedanken („Ein Glück der Vater und sein Sohn sind in Sicherheit, aber ich will nicht derjenige sein, der den schicken neuen Hilux zu Schrott fährt, etc. ...“) Diesmal reisse ich das Steuer also kurz entschlossen noch weiter nach links herum, das Hinterteil setzt wieder auf und der Wagen dreht sich wie bei einer James Bond Verfolgungsjagd um seine eigene Achse, und kommt auf der gegenüberliegenden Strassenseite entgegengesetzt zur Fahrtrichtung endlich zum stehen. Direkt rechts von uns steht jetzt der Baum, der gerade noch auf unserer linken Seite war. Plötzlich wird es dunkel. Der Strassenstaub, den wir aufgewirbelt haben, schwappt wie eine rote Woge über uns her. Als er sich ein paar Sekunden später wieder legt, starren wir auf den entgeisterten Vater mit seinem Sohn auf dem Gepäckträger, die uns mit weit aufgerissenen Augen anstarren. Zur Völkerverständigung habe ich hier nicht gerade beigetragen. Vielleicht hätte ich aussteigen und mich entschuldigen sollen. Wahrscheinlich bin ich in dem Moment zu feige oder stehe zu sehr unter Adrenalin. Ich starte den Motor, lege den ersten Gang ein, drehe um und fahre langsam auf der Strasse weiter.


13:10 Es pfeift aus dem Reifen rechts vorne. Scheinbar haben wir uns bei der Schlitterpartie einen Platten geholt. Ich fahre links ran und bin eigentlich froh, aussteigen zu können. So richtig böse sein kann ich jetzt eigentlich auf nichts und niemanden mehr sein. Mein Kollege holt das Werkzeug, um das Ersatzrad, das unter der Ladefläche des Hilux‘ festgemacht ist, herunterzulassen. In der Werkzeugtasche fehlt aber die entscheidende Stange, die genau das ermöglicht. Alle anderen fluchen, aber mit kommt das seltsamerweise gar nicht so schlimm vor. Alles eine Frage der Relation.

13:23 Ich rufe Eckhard an, der steht nun schon seit ca. 4 Stunden am Strassenrand und wartet auf uns. Er schimpft wie ein Rohrspatz.

13:45 Endlich kommt ein anderer Hilux vorbei. Wir winken ihn heran und mit der Stange von denen haben wir rasch unseren Reifen gewechselt und sind wieder auf der Strasse. Brav mit weniger als 50 km/h.

14:15 Wir kommen bei Eckhard an und bringen ihm die sehnlich erwartete Schraube für seine Bremsscheibe.


14:30 Wir fahren weiter. Brav mit weniger als 50 km/h.

14:45 Ich halte bei der nächsten Gelegenheit an, um am Strassenrand zwei riesige Säcke Holzkohle zu kaufen. Jeder wiegt gut und gerne 25kg und jetzt ist mit dem Hüpfen der Hinterachse endlich Schluss.

14:50 Ich fahre weiter. Brav mit weniger als 50 km/h.

17:02 Wir kommen in Kitgum an und treffen Gottseidank noch die General Managerin der dortigen Spar- und Kreditgenossenschaft und können unser Programm tatsächlich noch mit ihr durchziehen. Anschliessend gibt es als Abendessen leckeren Ziegenknochen mit Darm. Hmpf.


18:36 Wir machen uns bei einbrechender Dunkelheit auf die Suche nach einem „Hotel“: ein muffiger, heisser Raum mit ausgelegener Matratze, aber immerhin mit einem Mückennetz und fliessendem, sauberen Wasser.

21:20 Nach einer Dusche und einem Abendessen mache ich mich mit meinem Kollegen Paul Otim auf zu einer Bar mit Fernseher, um Uruguay – Ghana zu schauen. Während der Halbzeit penne ich mit dem Kopf an der Säule ein, ebenso während der Pausen zur Verlängerung.

Irgendwann nach Mitternacht falle ich dann im Koma ins Bett. Manchmal kann ein Tag wie ein ganzes Jahr sein.

No comments:

Post a Comment