Saturday, 11 April 2009

Ursachenkomplex "Unterentwicklung"

Warum erscheinen mir manche Ugander hier manchmal so linkisch, so unbeholfen, um nicht zu sagen geradezu unfähig? Damit meine ich mit Sicherheit nicht meine Kollegen, denn die sind von ihrem Know-How echte Profis, aber der Mann oder die Frau hinter der Theke, der Handwerker, der Taxifahrer, der Bauer, der Straßenverkäufer, ja sogar Polizisten, Beamte und so mancher Politiker.

Einige Antworten dazu habe ich in dem Buch Elizabeth of Toro; die Odyssee einer afrikanischen Prinzessin; eine Autobiographie von Elizabeth Nyabongo gefunden (Toro ist ein Königreich im östlichen Uganda). Neben ihrer beeindruckenden Lebensgeschichte enthält das Buch so manche bestechende Analyse:

"...Nachdem die Kolonialherren die Führerschaft Uganda's [im 19. Jhdt.] erfolgreich entzweit hatten, brauchten die Behörden nur noch die Finanzen zu kontrollieren, damit König und Volk vollends von der Kolonialmacht abhängig waren. Durch die Vertäge von 1885, 1894, 1900 und 1906 und in Verbindung mit späteren Dektreten belegte die Britische Krone den natürlichen Reichtum Toros, einschließlich des Bodens, der Mineralvorkommen, des Elfenbeins und der Salzgewinnung mit Beschlag.
Mein Großvater [der König von Toro] hatte es zunächst abgelehnt, den Vertrag von 1894, in dem er 'Häuptling' von Toro und nicht 'Oberster Herrscher' genannt wurde, zu unterzeichnen. 'Wo sind meine Ländereien Busongora, Makara, Bulea und Mboga?' wollte er wissen. Die Erklärung dafür, daß Toro kleiner geworden war, lag bei der Berliner Konferenz von 1885, auf der die westeuropäischen Mächte Afrika willkürlich unter sich aufgeteilt hatten. Busongora und Makara war an Belgien gefallen, und später, auf der Konfernez von Brüssel, trat Großbritannien im Tausch gegen Arua, das Teil von Norduganda wurde, Mboga und Bulega an Belgisch Kongo ab.
Auch die Verträge von 1900 und 1906 wollte mein Großvater zuerst nicht unterzeichnen, weil seine eigenen Rechte und die des Volkes weiter unterhöhlt worden waren. Man warnte ihn, daß er nicht länger König bliebe, wenn er nicht unterschreibe. Für das Volk besaß die Legitimität des Thrones große Bedeutung. Man betrachtete das Überleben des Königs als gleichbedeutend mit dem Überleben Toros als Königreich, und die Toros appelierten an ihn, um des Landes willen zu unterzeichnen, was er dann schließlich auch tat.
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Das Kolonildekret, das den Toros Bergbau und Veredelung verbot, fügte unserem Selbstvertrauen und unserem Erfindungsgeist einen nicht wieder gut zu machenden Schaden zu. Jahrhundertelang war das Reich von Toro für seine Eisenwerkzeuge und Waffen berühmt gewesen, und die Schmiede hatten eine lebenswichtige Rolle in der Gemeinschaft gespielt. Jetzt setzte das neue Dekret der über viele Generationen gesammelten Erfahrung und Kunstfertigkeit ein für allmal ein Ende.
Eine weitere Tragödie, die über die Toros hereinbrach, war die Massentötung ihrer Rinder, die stets ihren Hauptreichtum ausgemacht und ihre Unabhängigket begründet hatten. Seit Anbeginn der Zeit galt uns die Kuh als heiliges Tier, unsere Zivilisation und Kultur - Sprache, Dichtung, Religion, Rituale - künden davon. Die Kuh versorgte uns mit nahezu allem, was man braucht: Milch, geronnenes Blut und Fleisch als Nahrung, Felle für Bekleidung und Teppiche, Urin zur Hautpflege, Hörner für Leim und Gebrauchsgegenstände und Dünger für den Boden.
Die Kolonialbehörden wußten, daß sie die kulturelle, wirtschaftliche und von daher auch politische Vorherrschaft über die Toros kaum erlangen würden, wenn die reichen Viehbestände erhalten blieben. Deshalb nahmen sie eine grausame Reduzierung vor und mordeten das Vieh mit Impfstoffen hin, die sie aus Kulturen von Eiern der Tsetsefliege aus Botswana gewannen, die die Schlafkrankheit überträgt. Noch leben Augenzeugen wie mein Onkel mütterlicherseits, die Millionen Rinder sterben sahen. Erst kürzlich sagte er zu mir und zeigte dabei auf ein Stück Land: 'Dort drüben hat unsere Familie Tausende von Abertausende Rinder verloren - einfach so.'
Innerhalb kürzester Zeit war eine den Interessen Großbitanniens dienende Kolonialordnung geschaffen worden. Wie jede andere Kolonie wurde Toro dadurch zum Rohstofflieferanten für die britische Wirtschaft und seine Bürger zu wohlfeilen Arbeitskräften, anfangs mit Gewalt, später dann durch die Steuergesetze dazu gezwungen. Die Logik dieser Gesetze bestand darin, daß die Leute, da sie nicht in Naturalien zahlen durften, genötigt waren, gegen Entgelt zu arbeiten, um ihre Steuern entrichten zu können, und gelichzeitig sicherte dies den stetigen Nachschub an Billiglohnarbeitern. Die traditionelle Währung der vorkolonialen Zeit, Ensimbi, wurde aus dem Verkehr gezogen und durch Silbergeld ersetzt, das mit dem Porträt der britischen Königin Victoria versehen war.
Toro besitzt den fruchtbarsten Boden in Uganda und ein gemäßigtes Klima, das Europäern zusagt. Es ist also nicht verwunderlich, daß sich, ähnlich wie in Kenia und Südafrika, bald eine Gemeinschaft von weißen Siedlern bildete. Diesen Neuankömmlingen aus Europa stellte der Kolonialstaat riesige Ländereien und billige Arbeitskräfte zum Anbau von Gummi und Kakao zur Verfügung. Beabsichtigt war, eine ebensolche Plantagenwirtschaft zu entwickeln wie in Westindien, in Assam und Burma. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Preisverfall in den zwanziger Jahren, der zum Zusammenbruch des gesamten Gummihandels führte, besann sich der Kolonialstaat wieder auf eine bäuerliche Wirtschaftsform mit Kaffee- und Baumwollanbau auf kleinen, verstreuten Flächen. Aber auch da blieb die Baumwollerzeugung auf Ost- und Zentraluganda beschränkt und erreichte Toro bis in die letzte Hälfte der Regierungszeit meines Großvaters nicht.
Über Toro brachte die Einführung der neuen Ordnung unsägliches Leid. Afrika hatte mit seinen Kolonialbeamten weniger Glück als Indien. Die Provinz- und District-Commissioners zu meines Großvaters Zeiten waren gewöhnlich Militärs, die sich schlicht als Instrumente der Unterjochung verstanden. Die Unterdrückung erreichte ein solches Ausmaß, daß mein Großvater bei einer seiner täglichen Zusammenkünfte mit den britischen Commissioners wissen wollte: 'Was bedeutet Protektorat?' Mit anderen Worten: Waren die Schutzverträge, die Uganda zum britischen Protektorat erklärten, in Wahrheit nur eine Farce, Teil eines hinterlistigen und unmoralischen Plans, um das freie Volk eines unabhängigen Königreiches zu unterjochen? Hatte man nicht in Wirklichkeit eine Kolonie geschaffen?
Die Wahrheit enthüllt Lugard selbst, der diese Verträge beschreibt, als 'eine Farce, die Herrschaft durch Verträge zu erlangen. Es wäre sicher eher zu entschuldigen gewesen, wenn die europäischen Mächte ihren Interventionsanspruch offen auf Gewalt gegründet hätten statt auf eine Übernahme, die sie aus dem Erlöschen der Souveränität ableiteten, und das unter dem Vorwand von Verträgen, die nicht verstanden wurden und die den Mächten auch kaum eine angemessene legale Rechtfertigung lieferten' (aus: The Rise of Our East African Empire).
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Toro war ein Polizeistaat geworden. Die Bevölkerung, insbesondere die Toro Frauen, die mit Kolonialbeamten schliefen, wurden zum Spitzeln angehalten. Sogar Kinder ließ man dabei nicht aus. Reverend Lloyd lud häufig Kinder zum Tee ein, nur um hinterhältige Fragen zustellen. Er sagte zum Bispiel: 'Ich habe ein Gewehr. Habt ihr auch eines zu Hause?' Girigi Winyi, ein Enkel der Königin, antwortete einmal ganz unschuldig: 'Ja.' Zum Glück war es registriert.
Mein Großvater berichtete, wie er für jedes Unrecht, das man seinen Untertanen nachsagte, mit Geldstrafen belegt wurde. Er befand sich in einer unmöglichen Lage. Die Verfassung verpflichtete ihn, den 'Rat' Ihrer Majestät der britischen Königin - was in jedem Fall gleichbedeutend war mit 'Befehl' - zu akzeptieren. Verweigerung hätte den Entzug der Anerkennung durch die britische Regierung und damit Exil zur Folge gehabt. Anders gesagt: Man erwartete von ihm, lediglich Agent des Kolonialstaates zu sein und dessen Interessen zu vertreten, in Wahrheit also den Verrat an seinem Volk.
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Die christlichen Missionare wirkten anfangs tatsächlich als mäßigender Faktor. Die Kolonialregierung, die ihre Autoriät dadurch untergraben sah, empfand die Dank der Erziehung und Ausbildung durch die Kirche zu verzeichnenden Fortschritte der Toros als so alarmierend, daß sie Einhalt zu gebieten versuchte und den Missionaren befah, kürzer zu treten. Das schränkte die Unabängigkeit der Kirche und folglich auch ihren Einfluß ein. Es kam zu einer Veränderung der Erziehungsinhalte und der Einstellung zur Erziehung. Allmählich vollzog sich eine Wende - weg von der Erziehung in der Gemeinschaft, die das individuelle soziale Bewußtsein und die Einsicht in die Pflichten des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft entwickeln soll, hin zu einer Erziehung im Klassenzimmer, deren Ziel es geworden ist, die Fähigeiten zur Sicherung des sozialen Status innherhalb der Gesellschaft zu erwerben. Langfristig gesehen, hat diese Wende zur gegenwärtigen Zwietracht in Afrika geführt, und zwar insoweit, als sie zur Herausbildung einer egoisischen Führerschaft ohne soziales Gewissen beigetragen hat, einer Führerschaft, die der Gemeinschaft als fremd gegenübesteht.
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Dann brach der Zweite Weltkrieg aus, der zum Niedergang der Imperien Großbritanniens und Frankeichs führte und den Vormachtsanspruch der Vereinigten Staaten von Amerika sichtbar machte, die die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kolonien unterstützten. Die weltweite Beseitigung des Kolonialsystems wurde auf diese Weise unvermeidlich, und sowohl in Uganda wie anderswo war es nicht mehr die Frage, ob die Unabhängigkeit je gewährt, sondern wem der Kolonialstaat anvertraut werde würde. Die britische Entscheidung zielte darauf ab, den britischen Einfluß zu erhalten und die wirtschaftliche Ausbeutung des Landes fortzusetzen. Zu diesem Zweck mußte das politische System Großbritanniens auf Uganda übertragen werden. Es galt, die Staatsgewalt eiligst formierten politischen Parteien zu überantworten und das jahrhundertealte, wohlorganisierte einheimische System zu umgehen. Nach achtundsechzig Jahren britischer Kolonialherrschaft fanden 1961, nur ein Jahr vor der Unabhängigkeitsgarantie, die ersten allgemeinen Wahlen statt. Afrikaner waren noch bis 1958 wohlweißlich von einer Beteiligung an der zentralen Legislative (einem Parlament mit embryonaler Souveränität) ausgeschlossen, in diesem Jahr aber erlaubt man ihnen, zehn Vertreter in eine immer noch nicht repräsentative gesetzgebende Versammlung zu wählen. An der zentralen Exekutive durften sie erst im Mai 1962, fünf Monate vor der Unabängigkeit, teilhaben. Während die maßgeblichen Organe des Staates, namentlich die Armee, die Gerichte, die Legislative wie die Exekutive, sämtlich von Nichteinheimischen geführt wurden, war die ersten Generation der gebideten Elite vornehmlich vom Verwaltungsdienst aufgesogen worden; die politische Führergemeinschaft entbehrte jeglichen Formats und das politische Bewußtsein des Volkes war unterentwickelt.
Im Gegenteil zu der von den Briten neu geschaffenen Zentralregierung waren in den Regionen die wichtigsten Organe, Gerichte, Legislative, Exekutive und Verwaltung gänzlich mit Afrikanern besetzt, die über jahrhundertealte Erfahrungen im Umgang mit der Macht verfügten.
Daß man Uganda ein fremdartiges System aufzwang, hatte in poltischer wie sozialerHinsicht katastrophale Folgen. Der Grundkonflikt zwischen der Zentralregierung - dem Nachfolger des Kolonialstaates - und den regionalen Königreichen spitzte sich zu einem Konflikt zwischen Diktatur und Demokratie zu. Durch die beiden Staatsstreiche Obotes von 1966 und 1967 waren die Königreiche und anderen Regionen vernichtet worden. Unter Obote und Idi Amin setzte die afrikanische politische Führung die Politik der Briten fort, mit Gewalt und Betrug einen Gesamtstaat Uganda zu schaffen, was ganz unvermeidlich dazu führte, daß sich der Staat von selbst auflöste und unsere gesamte Kultur und Zivilisation demontiert wurde.
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Idi Amins Welt: Es ist zu bezweifeln, ob Präsident Idi Amin bestimmte schwierigere Regierungskonzepte je begriff. Aber obwohl diese Unfähigkeit, die Konsequenzen seines Tuns voll zu verstehen, in gewisser Weise einen Teil seiner Stärke ausmachten - insoweit jedenfalls, als er und seine Regierung sich nie durch reine Untätigkeit einen Schaden zufügten -, war eine solche Beschfränkund eben auch seine Schwäche, denn sie bedeutete, daß er leicht zu lenken war. In den Arbeitsabläufen des Regierungsgeschäfts - Kabinettssitzungen und andere wichtige Zusammenkünfte - war Amin leider nicht sehr bewandert, weil er nach Soldatenart nie länger an einem Ort blieb, sondern hierhin und dorthin hastete und dabei einen Hofstaat von Sekretären, Verwaltungsbeamten und Ministern im Kielwasser hinter sich her schleppte.
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Viele Länder hatten ihre Gründe, sich nicht darum zu kümmern, ob und wie Amin sich im Amt hielt. Entsprechende dem Bild, das der Westen von Schwarzafrika hat, haben die Regierungen Narren und Gauner wie Amin immer als nützlich für den Beleg ihrer These empfunden, daß schwarze Länder unfähig sind, sich selbst zu regieren. Vieles trug dazu bei, daß sich Amins Regime so lange halten konnte, nicht zuletzt die nackte Brutalität des Präsidenten und seine Art, sich anmaßend über Konventionen und Protokoll hinwegzusetzen. Für ihn existierten keine Regeln und Gesetze, weder im eigenen Land noch auf internationaler Ebene - ausgenommen natürlich jene, die seinen Launen entsprachen.
Aber Idi Amins unberechenbares Temperament steigerte seinen propagandistischen Wert. Anfangs von eben jenen Mächten unterstützt, die erklärten, sie fänden Obote unakzeptabel, aber Amin nicht weniger, sollte der Präsident von Uganda auch einen gewissen Zweck erfüllen - er sollte zu einer Zeit, da in Südafrika und anderen Ländern der Dritten Welt um die Unabhängigkeit gekämpft wurde, als Maßstab für schwarze Regierungsgewalt in Afrika dienen. Wegen seiner bombastischen Äußerungen, seiner nutzlosen Versuche, die eigene Unzulänglichkeit zu kompensieren, und wegen seiner Unfähigkeit zu verstehen, was hinter seinem Rücken vorging, erwies sich Amin für weiße Rassisten als ein unschätzbares Geschenk dem weißen Bewußtsein wurde die schwarze Inkompetenz eingeprägt."

Elizabeth Nyabongo ist seit einigen Monaten ugandische Botschafterin in Deutschland.

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