Häufig hört man in den Entwicklungshelferkreisen Klagen über den Fatalismus und das Phlegma der afrikanischen Partner. "Die ziehen einfach nicht richtig mit!" wird da manchmal geklagt, und es fehlt das "
Ownership" als großes Schlagwort.
Ich sitze mit meinen Kollegen im Auto und wir holpern über die staubigen Schlaglochwege und sie erzählen mir von früher, von ihrer Kindheit und Jugend.
Meine eine Kollegin lebte früher in
Masaka im Südwesten von
Kampala. Als
Tansania 1986 in das Uganda von
Idi Amin einmarschierte, geschah das natürlich auch nicht mit Palmenzweigen und Gummibällen. Als die Familie mitbekam, dass die
tansanischen Truppen kommen haben sie eine Tasche mit Essen gepackt und sind ab in den Busch, um sich zu verstecken. Noch am selben Abend wurde ihr Haus komplett
ausgebombt - dem
Erdboden gleich gemacht. Schon vorher lebte die Familie in ständiger Angst. Nicht vor den
tansanischen Befreiern/
Invasoren, sondern vor den Häschern
Idi Amin's, die sich manchmal wahllos bereicherten. So ist z.B. die Tante meiner Kollegin damals nach Einbruch der
Dunklheit immer ängstlich durchs Haus
gehuscht, um die Lichter zu löschen. Das Höchste, was sie erlaubte war eine kleine Kerze in der Zimmerecke.
Und tatsächlich sollte sie Recht behalten; denn eines Abends tauchte ein besoffener Soldat bei ihnen im Garten auf,
pöbelte ein herum und verlangte
Whiskey. Sie sollen im
Whiskey geben!!! Natürlich hatten sie keinen
Whiskey und versuchten ihn dann mit Geld zum fortgehen zu überreden. Das Geld nahm er natürlich auch an, dummerweise hatten sie aber vergessen, ihren Fernseher unter dem Tisch zu verstecken, was sie sonst immer getan hatten, wenn jemand ins Haus kam. Der Soldat fuchtelte mit seinem Gewehr herum und drohte ihnen mit seiner verschwitzten Grimasse und mit seinem stinkenden Atem. Er drohte, sie alle zu umzubringen, wenn sie ihm nicht den Fernseher mitgeben. Weil er ihn nicht selber tragen konnte, kommandierte er kurzerhand ihren Onkel dazu ab: Er solle den Fernseher für ihn nach draußen auf den Karren tragen. Dem Onkel blieb keine große Wahl und so trug er den Fernseher nach draußen.
Nachdem er den Ferseher draußen abgeladen hatte, fiel dem Soldaten noch etwas ein: Die Nachbarn! Nur hatte das Nachbarhaus eine Mauer und ein Tor, also kam er da nicht ohne weiteres hinein. Er schlug und hämmerte also gegen das hohe Holztor, dass es donnerte und krachte. Fast hätte er den Onkel meiner Kollegin, der immer noch zitternd herumstand, vergessen. Dann aber hat er ihn gepackt und ihn angeschrien, er soll denen da drinnen sagen, die sollen gefälligst aufmachen! Er müsse das Haus durchsuchen. Der Onkel flehte seine Nachbarn kläglich an, aber von drinnen kam natürlich nur Totenstille als Antwort.
Irgendwann wurde es dem Soldaten dann zu blöd und er und ein paar Kollegen packten den armen Onkel und warfen (!) ihn über das Tor. Drüben landete er mit einem dumpfen Aufschlag und die Soldaten schrien ihm zu, er solle jetzt das Tor aufmachen. Als er nicht sofort reagierte, erkannten die Soldaten wohl, dass sie einen ziemlich dummen Fehler gemacht hatten, denn jetzt war er halt auf der anderen Seite - geschützt durch die Mauer und das Tor. Aus Wut haben sie einfach wahllos durch das Tor durchgefeuert, bis das Magazin leer war. Dann herrschte wieder Totenstille und die Soldaten zogen mürrisch weiter.
Niemand traute sich hinaus. Die ganze Nacht nicht. Erst am nächsten Morgen kamen die Nachbarn hinter dem Haus über das Feld zum damaligen Heim meiner Kollegin und meinten, bei ihnen läge ein toter Mann vorne im Garten, ob denn wüßten, wo der herkäme.
Heute sitzt sie mir gegenüber an ihrem PC,
Air-
Condition im Raum, bequemer Schreibtischstuhl mit hoher Rückenlehne, gekleidet in leuchtenden Farben und erwartet gerade ihr zweites Kind. Sie ist verheiratet, verdient ca. 1000 € im Monat, fährt einen weißen Toyota
Corolla,
browst gerne im Internet,
ratscht mit ihren Freundinnen am Handy, und lässt sich manchmal von ihrer
Housemaid bekochen.
Nun, verglichen mit den Erlebnissen ihrer Jugend ist das ein gewisser Unterschied. Es ist eigentlich so krass, dass ich mir diesen Unterschied gar nicht wirklich vorstellen kann. Und wenn jemand von ganz dort "unten", wo sie herkam, es zu so viel Wohlstand geschafft hat - kann ich es ihr wirklich übelnehmen, dass sie sich zurücklehnt und denkt: So weit so gut. Ich glaube, ich habe so ziemlich alles erreicht, was ich in diesem Leben erreichen hätte können. Mehr geht nun wirklich nicht. Noch mehr oder etwas noch besseres kann ich mir gar nicht vorstellen - warum also soll ich mir hier auf meinem Posten ein Bein ausreißen?
Tja. Und neben ihr sitzt der hochmotivierte, auf Wettbewerb, Effizienz und Erfolg getrimmte Europäer, der nur darauf brennt, hier alles zu verändern und zu verbessern. Klar, dass hier zwei Welten aufeinander prallen. Aber kann ich meiner Kollegin ihr Einstellung wirklich übel nehmen? Ich kann sie zumindest gut verstehen. Ich kann es verdammt gut verstehen, dass sie für sich und ihre Familie eine Sicherheit und einen Wohlstand erreicht hat, von dem sie vor 20 Jahren wahrscheinlich noch nicht einmal hätte träumen können. Ich kann es ihr also nicht wirklich übelnehmen. Aber dennoch - für mich bleibt der Anspruch: Es gibt noch mehr als "ich und meine Familie". In Uganda leben inzwischen knapp 30 Mio. Menschen, der Großteil davon lebt von der Hand in den Mund und etwa die Hälfte von ihnen ist unter 15 Jahre alt mit düsteren Berufsaussichten. Beim Blick über den eigenen Tellerrand weiß ich, dass es hier genug Gründe gibt, aktiv zu sein.
04/02/09