Das Friedensgutachten ist das gemeinsame Jahrbuch der fünf führenden wissenschaftlichen Institute für Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland. Es wird seit über zwanzig Jahren jeweils zu einem Schwerpunktthema herausgegeben und hat seitdem die deutsche Friedenspolitik kritisch begleitet und beeinflusst.
Schwerpunkt des Friedensgutachtens dieses Jahr ist die Frage nach der Beendigung von Kriegen. Zentrale Forderung ist ein starkes ziviles Engagement in Konflikten statt eines Einsatzes militärischer Mittel.
Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul unterstützt die Forderungen des Friedensgutachtens 2009: "Das Friedensgutachten zeigt, wie wichtig die Unterstützung der Entwicklungsländer gerade in der Finanzkrise ist. Den Entwicklungsländern brechen Exporteinnahmen, Rücküberweisungen von Migrantinnen und Migranten in ihre Heimatländer sowie private Investitionen weg; auch der Klimawandel führt in vielen Entwicklungsländern zu starkem Anpassungsdruck. Wir müssen deshalb gerade jetzt zu unseren Zusagen stehen, sonst riskieren wir eine Verschärfung der innerstaatlichen Konflikte in Entwicklungsländern. Die Situationen in Afghanistan, Pakistan, im Kongo und im Sudan zeigen eindrücklich, dass es stets teurer und schwieriger ist, Kriege zu beenden, als rechtzeitig ihre Ursachen zu bekämpfen.
Entwicklungspolitik ist die kostengünstigste Friedenspolitik und schafft langfristig Sicherheit. Es ist unverständlich, dass die Weltgemeinschaft noch immer jedes Jahr mehr als 1,2 Billionen US-Dollar für Waffen und andere Rüstungsgüter ausgibt und nur ein Zehntel davon weltweit für Entwicklung."
Friday, 31 July 2009
Tuesday, 7 July 2009
Rassismus
Ich fliege nach Ouagadougou, zur 4th African Microfinance Conference. Wir machen daraus einen richtigen Familienevent, alle kommen mit, sogar Fred unser Guard will mitkommen, den er war noch nie am Flughafen. Reisepass, Ticket, Geld, Handy, alles ist gepackt, auch die 60kg Publikationen, die ich dort im Auftrag der GTZ verteilen werde. Um 18:00 soll mein Flieger gehen, wir fahren um 16:15 am Abflugterminal vor, laden gemütlich aus und ratschen noch mit einem Cousin von Fred, den wir dort zufällig treffen. Schließlich rolle ich meinen Gepäckwagen gemütlich ins Gebäude, das mir irgendwie verdächtig leer erscheint. Ich lasse mein Gepäck screenen, dann stehe ich vor meinem Check-in Schalter… leer und verlassen. Hä? Jemand ruft mir im Vorbeigehen zu: „The counter is closed!“ – Danke, das sehe ich. Mirella ruft mir von hinten zu „Auf der Anzeigetafel steht 17:15 Abflugzeit!“ Ooops, es ist jetzt schon 16:30, ich gehe mitsamt Gepäck wieder rückwärts durch die Security und schnaufe die Treppe hoch zum Office von Ethiopian Airlines, meiner Fluglinie.
Dort ist das Büro natürlich mit Leuten vollgestopft. Drei Angestellte sitzen an zwei Computern, ein knappes Dutzend Leute stehen herum, reden, telefonieren, gucken Löcher in die Luft. Keine Ahnung, wer hier auf wen wartet, ich spreche den ersten Angestellten an: „I’m sorry, it seems my flight has been rescheduled to fly earlier, so I have to rush to check in…“ und ich halte ihm mein Ticket unter die Nase. Der schüttelt nur stumm den Kopf und zeigt nur auf den anderen Kollegen. Dorthin muss ich mir schon etwas den Weg freikämpfen. Er steht er mit dem Rücken zu mir und ist im Gespräch mit einer fülligen schwarzen Dame, die langsam aber beständig und ohne Unterbrechung auf ihn einredet. Ich zwinge mich zur Geduld und zur Höflichkeit und versuche eine Pause abzupassen, in der ich mein Anliegen vorbringen kann. Kein Chance. Schließlich platze ich einfach direkt mit meinem Sprüchlein heraus: „I’m sorry Sir, it seems my flight has been rescheduled to depart earlier, so I have to rush to check in…“. Keine Reaktion. Die beiden reden einfach weiter. “Excuse me Sir, this is really urgent. It is not my fault, my ticket…“, usw. usw. ich erkläre die ganze Situation, “… so I have to check in now before the flight leaves!” Es ist inzwischen schon 16:45! Ohne sich umzudrehen, sagt er einfach nur “The flight is closed.“ – „Yes, I know, that’s why I came here, so you can help me to catch it!“ – „Sorry, you’re not going on that flight, I will put you on the next flight.“ – „No, impossible! I must attend a conference!” In der Zwischenzeit hat die füllige Dame die unerwünschte Unterbrechung genutzt und hat angefangen mit jemandem zu telefonieren. Triumphierend hält sie dem Airlines-Representative das Telefon vor die Nase: „He wants to talk to you.“ Erfreut über die Ablenkung von diesem nervigen Weißen greift er nach dem Telefon „Yes… yes… sure… yes… I see… okay… yes Sir, I will book this flight for her, ok.” Die füllig Dame scheint noch etwas zu wachsen, noch etwas mehr Raum einzunehmen, sie platzt schier vor Selbstzufriedenheit: Endlich hat sie den Bruder des Onkels ihres Cousins erreicht, der wahrscheinlich bei Ethiopian irgendwo im Headoffice arbeitet, und der diesem Futzi vor ihr jetzt endlich klar gemacht hat, dass er diesen Flug von ihr ohne lange rumzureden einfach umbuchen soll. Schicksalsergeben gibt er ihr das Telefon zurück und fängt an, an seinem Computer rumzutippen. Da wage ich wieder einen Vorstoß von hinten: „Excuse me, Sir, I am really in a rush…“ usw. Jetzt hört er sich tatsächlich etwas genervt an und sagt: „You go to the manager at the gate.“ – „But I cannot go to the gate! I do not have a boarding pass! Because I am not checked in! You must come with me to accompany me there, otherwise they will never let me pass!” Ohne auch nur ansatzweise erkennen zu lassen, dass er mich gehört hat, macht er an seinem Computer weiter. Ich wiederhole mit zunehmend drängender Stimme meine Nachricht, bis er seine Vorzugskundin schließlich doch entschuldigend anschaut, sichtlich genervt aufsteht und an mir vorbei Richtung Ausgang geht. Ich höre praktisch, wie er denkt „Mein Gott, ist das wieder ein nerviger Muzungu; und so ungeduldig und unhöflich!“ Ich versuche ihn auf dem Weg zum Check-in von meiner Sache zu überzeugen, aber er wirft beim Gehen nur einen oberflächlichen Blick auf mein Ticket. Interessiert ihn gar nicht wirklich.
Dann beim Security Check muss ich mein Gepäck wieder screenen lassen, er marschiert einfach weiter, als hätte er nichts mit mir zu tun. Der Mann am Röntgengerät hält mich auf: „Mister, sorry, your flight is closed! Where are going with your luggage?“ – „But I am going with that person…!”, und zeige auf den Airlines-Representative der schon durch die Security durch ist und gerade dabei ist, hinter der Ecke zu verschwinden, „… he will take me to the gate and help me to get on the flight!“ – „But Sir, I am sorry, but I cannot let you go through with all that luggage to the gate, you must check in first!“ Innerlich schreie ich auf, äußerlich werfe ich einfach nur die Koffer aufeinander, lasse sie neben dem Röntgengerät liegen und stürme am leeren Check-in Schalter vorbei weiter in Richtung Gate. Der Airlines-Representative, der mir „helfen will“ ist inzwischen schon irgendwohin weg. Bei der Paßkontrolle werde ich noch mal aufgehalten, aber nicht etwa, weil ich ohne Boardingpass zum Gate will, sondern weil ich noch ein Ausreiseformular ausfüllen muss. Mir egal, ich kritzele meinen Namen und eine ausgedachte Passnummer aufs Papier und stürme weiter zum Gate. Dort fragt mich die Dame „Boarding Pass, please?“ Noch einmal nehme ich allen meinen Charme zusammen und erzähle die ganze verzweifelte Geschichte der letzten halben Stunde. Es ist inzwischen 17:00 aber im Gate stehen noch ein Haufen Leute, es ist also noch nicht zu spät. Geduldig hört sie mir zu, scheint aber in keinster Art und Weise die Dringlichkeit der Lage erkannt zu haben, denn ganz gemächlich ruft sie einen Kollegen herbei, der gemütlich herangeschlendert kommt. Auf Luganda palavert sie mit ihm etwas, das ich nicht verstehe, aber es kann unmöglich nur meine Story sein, dafür dauert das viel zu lange! Wahrscheinlich erzählt sie ihm noch was es alles Neues bei ihr in der Familie gibt, oder was weiß ich… Schließlich schlurft der endlich ins Gate hinein, um meine Story dort auszurichten. Ich zucke wie ein nervöses Eichhörnchen vor der Glasscheibe hin und her, und versuche einen Blick ins Innere zu erhaschen. Wer ist dort der Manager, wer ist verantwortlich, mit dem ich vernünftig reden kann. Und wo ist der Typ, mit dem ich oben im Office gesprochen hatte und der mit mir runtergekommen ist? Drinnen sehe ich aber nur eine Gruppe Leute in Airlines Uniform, die sich unterhalten. Hoffentlich über meinen Fall, aber ich verliere so langsam das Vertrauen. Schließlich kommt ihr Kollege wieder heraus geschlurft und palavert wieder mit ihr. Ohne auch nur ein klein wenig Anteilnahme an meinem Leid zu demonstrieren, meint sie nur „Sorry Sir, but my colleague says you should go to the airlines office upstairs to clarify this.“ – „No, no, no! I just came from there and they sent me here to talk to the manager!!!” – „But Sir, the manager is not here, he is upstairs.” Wie bitte?? Ich beiße mich jetzt an ihr fest; zwischen mir und meinem Flug steht nur noch sie und eine dünne Glastür, das wäre doch wohl gelacht…! Aber alles reden, auch noch so nett, freundlich höflich und mitleiderregend hilft nichts. Frustriert und wütend mache ich mich auf den Rückzug, hoch ins Office.
Wen treffe ich dort? Den Typen, der mit dem ich anfangs im Office gesprochen hatte und er mit mir runtergekommen ist! Ist denn das die Möglichkeit? Ich schaue jetzt auf sein Badge: Da steht „Manager“! Der Hund hat mich vorhin zum Manager am Gate geschickt, wohl wissend, dass ich ohne Boardingpass eigentlich gar nicht zum Gate hinkomme und außerdem würde ich dort keinen Manager finden! Und dann ist mit mir runtergegangen, ist mit seinem Badge einfach durch alle Securtity Checks durchgegangen und ist durch eine Seitentür einfach wieder nach oben marschiert! Der hatte nie die Absicht, mir zu helfen, der ist nur mit mir mitgelatscht, weil ich ihn so unglaublich penetrant bedrängt habe. Er wollte mich einfach nur weg haben… und weil ich mich nicht habe verscheuchen lassen, hat er mich einfach hinausbegleitet, aber nur, um mich bei der ersten Gelegenheit abzuschütteln und dann unverrichteter Dinge wieder zurück ins Office zu kommen. Meine Anliegen war ihm völlig schnurzegal, meine Anwesenheit aber unerträglich, deshalb wollte er mich einfach nur weghaben. Ich verachte ihn. Zu allem Überfluss muss ich mich noch demütigen und ihn darum bitten, mich auf den nächsten Flug umzubuchen, weil ich diesen ja nun verpasst habe. Ohne ihm dabei ins Gesicht zu springen und die Augen auszukratzen. Als ob nichts gewesen wäre, bearbeitet er meine Umbuchung in Seelenruhe und verabschiedet mich mit einem neuen Ticket, mit dem ich nun zwei Tage später fliegen kann. Ich hasse ihn.
Ich muss noch meine Koffer abholen, die stehen noch unten bei der Security; der Mann dort lächelt mich an, nein, eigentlich grinst er hämisch, das sehe ich genau. Oben im heruntergekommenen Panoramarestaurant begegne ich einer Schulklasse Halbwüchsiger, die gerade den Flughafen besuchen und alle am Fenster stehen und die Flugzeuge angaffen, als wären sie das achte Weltwunder. Sie kommen vom Dorf und man sieht ihren Schuluniformen an, dass sie ärmlicher Herkunft sind. Aber mein Gott stinken die! Wochenlang hat keiner von den über 100 Schülern geduscht, weder die Jungen noch die Mädels, ich kriege kaum Luft unter ihnen. Und dann bekommt jeder wohl zur Feier des Tages eine Cola spendiert. Sie setzen die Flasche an und schwingen den Kopf nach hinten, so als ob sie eine Flasche Wasser trinken würden und natürlich fängt die Cola wie wild an zu sprudeln und mindestens jeder zweite saut sich und den Boden mit Cola-Schaum ein. Einfach ekelig diese Menschen hier!
Oops, etwas heftig, meine Gedanken… jetzt erst mal abkühlen. Es ist nur ein Flug, und nur eine Konferenz, es ist nicht wirklich dramatisch. Und für hiesige Verhältnisse war ich für die Leute wirklich „a pain in the ass“. Und jetzt weiß ich auch, wie Rassismus zustande kommen kann. In einer Situation, in einem Moment verspürt man so unendlich viel Hass auf eine Person, dass man sie in dem Moment entweder schier umbringen müsste, um sich Luft zu verschaffen, oder man muss all seine Wut umverteilen. Aufteilen auf viele, viele Menschen, dann ist das nicht so schlimm. Dann hasst man alle nur ein bisschen. Ein klein wenig Verachtung für viele ist leichter herumzutragen, als viel für eine einzige Person. Und dafür nimmt man dann einfach einen Haufen möglichst ähnlicher Personen her, das ist das einfachste. Aber eben auch das Unfairste.
Dort ist das Büro natürlich mit Leuten vollgestopft. Drei Angestellte sitzen an zwei Computern, ein knappes Dutzend Leute stehen herum, reden, telefonieren, gucken Löcher in die Luft. Keine Ahnung, wer hier auf wen wartet, ich spreche den ersten Angestellten an: „I’m sorry, it seems my flight has been rescheduled to fly earlier, so I have to rush to check in…“ und ich halte ihm mein Ticket unter die Nase. Der schüttelt nur stumm den Kopf und zeigt nur auf den anderen Kollegen. Dorthin muss ich mir schon etwas den Weg freikämpfen. Er steht er mit dem Rücken zu mir und ist im Gespräch mit einer fülligen schwarzen Dame, die langsam aber beständig und ohne Unterbrechung auf ihn einredet. Ich zwinge mich zur Geduld und zur Höflichkeit und versuche eine Pause abzupassen, in der ich mein Anliegen vorbringen kann. Kein Chance. Schließlich platze ich einfach direkt mit meinem Sprüchlein heraus: „I’m sorry Sir, it seems my flight has been rescheduled to depart earlier, so I have to rush to check in…“. Keine Reaktion. Die beiden reden einfach weiter. “Excuse me Sir, this is really urgent. It is not my fault, my ticket…“, usw. usw. ich erkläre die ganze Situation, “… so I have to check in now before the flight leaves!” Es ist inzwischen schon 16:45! Ohne sich umzudrehen, sagt er einfach nur “The flight is closed.“ – „Yes, I know, that’s why I came here, so you can help me to catch it!“ – „Sorry, you’re not going on that flight, I will put you on the next flight.“ – „No, impossible! I must attend a conference!” In der Zwischenzeit hat die füllige Dame die unerwünschte Unterbrechung genutzt und hat angefangen mit jemandem zu telefonieren. Triumphierend hält sie dem Airlines-Representative das Telefon vor die Nase: „He wants to talk to you.“ Erfreut über die Ablenkung von diesem nervigen Weißen greift er nach dem Telefon „Yes… yes… sure… yes… I see… okay… yes Sir, I will book this flight for her, ok.” Die füllig Dame scheint noch etwas zu wachsen, noch etwas mehr Raum einzunehmen, sie platzt schier vor Selbstzufriedenheit: Endlich hat sie den Bruder des Onkels ihres Cousins erreicht, der wahrscheinlich bei Ethiopian irgendwo im Headoffice arbeitet, und der diesem Futzi vor ihr jetzt endlich klar gemacht hat, dass er diesen Flug von ihr ohne lange rumzureden einfach umbuchen soll. Schicksalsergeben gibt er ihr das Telefon zurück und fängt an, an seinem Computer rumzutippen. Da wage ich wieder einen Vorstoß von hinten: „Excuse me, Sir, I am really in a rush…“ usw. Jetzt hört er sich tatsächlich etwas genervt an und sagt: „You go to the manager at the gate.“ – „But I cannot go to the gate! I do not have a boarding pass! Because I am not checked in! You must come with me to accompany me there, otherwise they will never let me pass!” Ohne auch nur ansatzweise erkennen zu lassen, dass er mich gehört hat, macht er an seinem Computer weiter. Ich wiederhole mit zunehmend drängender Stimme meine Nachricht, bis er seine Vorzugskundin schließlich doch entschuldigend anschaut, sichtlich genervt aufsteht und an mir vorbei Richtung Ausgang geht. Ich höre praktisch, wie er denkt „Mein Gott, ist das wieder ein nerviger Muzungu; und so ungeduldig und unhöflich!“ Ich versuche ihn auf dem Weg zum Check-in von meiner Sache zu überzeugen, aber er wirft beim Gehen nur einen oberflächlichen Blick auf mein Ticket. Interessiert ihn gar nicht wirklich.
Dann beim Security Check muss ich mein Gepäck wieder screenen lassen, er marschiert einfach weiter, als hätte er nichts mit mir zu tun. Der Mann am Röntgengerät hält mich auf: „Mister, sorry, your flight is closed! Where are going with your luggage?“ – „But I am going with that person…!”, und zeige auf den Airlines-Representative der schon durch die Security durch ist und gerade dabei ist, hinter der Ecke zu verschwinden, „… he will take me to the gate and help me to get on the flight!“ – „But Sir, I am sorry, but I cannot let you go through with all that luggage to the gate, you must check in first!“ Innerlich schreie ich auf, äußerlich werfe ich einfach nur die Koffer aufeinander, lasse sie neben dem Röntgengerät liegen und stürme am leeren Check-in Schalter vorbei weiter in Richtung Gate. Der Airlines-Representative, der mir „helfen will“ ist inzwischen schon irgendwohin weg. Bei der Paßkontrolle werde ich noch mal aufgehalten, aber nicht etwa, weil ich ohne Boardingpass zum Gate will, sondern weil ich noch ein Ausreiseformular ausfüllen muss. Mir egal, ich kritzele meinen Namen und eine ausgedachte Passnummer aufs Papier und stürme weiter zum Gate. Dort fragt mich die Dame „Boarding Pass, please?“ Noch einmal nehme ich allen meinen Charme zusammen und erzähle die ganze verzweifelte Geschichte der letzten halben Stunde. Es ist inzwischen 17:00 aber im Gate stehen noch ein Haufen Leute, es ist also noch nicht zu spät. Geduldig hört sie mir zu, scheint aber in keinster Art und Weise die Dringlichkeit der Lage erkannt zu haben, denn ganz gemächlich ruft sie einen Kollegen herbei, der gemütlich herangeschlendert kommt. Auf Luganda palavert sie mit ihm etwas, das ich nicht verstehe, aber es kann unmöglich nur meine Story sein, dafür dauert das viel zu lange! Wahrscheinlich erzählt sie ihm noch was es alles Neues bei ihr in der Familie gibt, oder was weiß ich… Schließlich schlurft der endlich ins Gate hinein, um meine Story dort auszurichten. Ich zucke wie ein nervöses Eichhörnchen vor der Glasscheibe hin und her, und versuche einen Blick ins Innere zu erhaschen. Wer ist dort der Manager, wer ist verantwortlich, mit dem ich vernünftig reden kann. Und wo ist der Typ, mit dem ich oben im Office gesprochen hatte und der mit mir runtergekommen ist? Drinnen sehe ich aber nur eine Gruppe Leute in Airlines Uniform, die sich unterhalten. Hoffentlich über meinen Fall, aber ich verliere so langsam das Vertrauen. Schließlich kommt ihr Kollege wieder heraus geschlurft und palavert wieder mit ihr. Ohne auch nur ein klein wenig Anteilnahme an meinem Leid zu demonstrieren, meint sie nur „Sorry Sir, but my colleague says you should go to the airlines office upstairs to clarify this.“ – „No, no, no! I just came from there and they sent me here to talk to the manager!!!” – „But Sir, the manager is not here, he is upstairs.” Wie bitte?? Ich beiße mich jetzt an ihr fest; zwischen mir und meinem Flug steht nur noch sie und eine dünne Glastür, das wäre doch wohl gelacht…! Aber alles reden, auch noch so nett, freundlich höflich und mitleiderregend hilft nichts. Frustriert und wütend mache ich mich auf den Rückzug, hoch ins Office.
Wen treffe ich dort? Den Typen, der mit dem ich anfangs im Office gesprochen hatte und er mit mir runtergekommen ist! Ist denn das die Möglichkeit? Ich schaue jetzt auf sein Badge: Da steht „Manager“! Der Hund hat mich vorhin zum Manager am Gate geschickt, wohl wissend, dass ich ohne Boardingpass eigentlich gar nicht zum Gate hinkomme und außerdem würde ich dort keinen Manager finden! Und dann ist mit mir runtergegangen, ist mit seinem Badge einfach durch alle Securtity Checks durchgegangen und ist durch eine Seitentür einfach wieder nach oben marschiert! Der hatte nie die Absicht, mir zu helfen, der ist nur mit mir mitgelatscht, weil ich ihn so unglaublich penetrant bedrängt habe. Er wollte mich einfach nur weg haben… und weil ich mich nicht habe verscheuchen lassen, hat er mich einfach hinausbegleitet, aber nur, um mich bei der ersten Gelegenheit abzuschütteln und dann unverrichteter Dinge wieder zurück ins Office zu kommen. Meine Anliegen war ihm völlig schnurzegal, meine Anwesenheit aber unerträglich, deshalb wollte er mich einfach nur weghaben. Ich verachte ihn. Zu allem Überfluss muss ich mich noch demütigen und ihn darum bitten, mich auf den nächsten Flug umzubuchen, weil ich diesen ja nun verpasst habe. Ohne ihm dabei ins Gesicht zu springen und die Augen auszukratzen. Als ob nichts gewesen wäre, bearbeitet er meine Umbuchung in Seelenruhe und verabschiedet mich mit einem neuen Ticket, mit dem ich nun zwei Tage später fliegen kann. Ich hasse ihn.
Ich muss noch meine Koffer abholen, die stehen noch unten bei der Security; der Mann dort lächelt mich an, nein, eigentlich grinst er hämisch, das sehe ich genau. Oben im heruntergekommenen Panoramarestaurant begegne ich einer Schulklasse Halbwüchsiger, die gerade den Flughafen besuchen und alle am Fenster stehen und die Flugzeuge angaffen, als wären sie das achte Weltwunder. Sie kommen vom Dorf und man sieht ihren Schuluniformen an, dass sie ärmlicher Herkunft sind. Aber mein Gott stinken die! Wochenlang hat keiner von den über 100 Schülern geduscht, weder die Jungen noch die Mädels, ich kriege kaum Luft unter ihnen. Und dann bekommt jeder wohl zur Feier des Tages eine Cola spendiert. Sie setzen die Flasche an und schwingen den Kopf nach hinten, so als ob sie eine Flasche Wasser trinken würden und natürlich fängt die Cola wie wild an zu sprudeln und mindestens jeder zweite saut sich und den Boden mit Cola-Schaum ein. Einfach ekelig diese Menschen hier!
Oops, etwas heftig, meine Gedanken… jetzt erst mal abkühlen. Es ist nur ein Flug, und nur eine Konferenz, es ist nicht wirklich dramatisch. Und für hiesige Verhältnisse war ich für die Leute wirklich „a pain in the ass“. Und jetzt weiß ich auch, wie Rassismus zustande kommen kann. In einer Situation, in einem Moment verspürt man so unendlich viel Hass auf eine Person, dass man sie in dem Moment entweder schier umbringen müsste, um sich Luft zu verschaffen, oder man muss all seine Wut umverteilen. Aufteilen auf viele, viele Menschen, dann ist das nicht so schlimm. Dann hasst man alle nur ein bisschen. Ein klein wenig Verachtung für viele ist leichter herumzutragen, als viel für eine einzige Person. Und dafür nimmt man dann einfach einen Haufen möglichst ähnlicher Personen her, das ist das einfachste. Aber eben auch das Unfairste.
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