Wednesday, 1 October 2008

Bei der Agentur für Arbeitsvermeidung

... und dann war es auch schon so weit: der 30.09. war mein letzter Arbeitstag und der 1.10. mein erster nicht-Arbeitstag. Das heißt: ich bin arbeitslos. Was tue ich als pflichtbewußter Bürger? Ich melde mich beim Arbeitsamt, denn die bundesdeutschen Statistiken sollen zum Jahresende ja schließlich stimmen.

Gleich in der Frühe breche ich auf und melde mich an der Pforte vorne in dem prächtigen Gebäude aus Glas und rotem Backstein und frage wo ich mich denn melden müsse. Statt einer Antwort kommt erst eine Gegenfrage: "Sind Sie schwerbehindert?" - "Ähh, nein..." kommt meine etwas verwunderte Antwort, woraufhin der freundliche Herr mir ohne weitere Umschweife den Weg weist.

Am richtigen Schalter angekommen bringe ich erneut mein Anliegen vor und bekomme abermals die prompte Gegenfrage "Sind Sie schwerbehindert?" und ich beginne mich nun doch zu fragen, ob ich mich heute möglicherweise irgendwie etwas sonderbar benehme? Hinke ich? Tut mir vielleicht irgendetwas weh, ohne dass ich es merke? Habe ich heute morgen vergessen, mir den Rasierschaum abzuwaschen? Ich verneine und beobachte die Dame am Schalter ganz genau, ob ich an ihrer Blickrichtung oder ihrer Mimik irgendetwas erkennen kann, das mir einen Hinweis auf meine Schwerbehinderung geben könnte. Leider vergebens. Ich bekomme statt dessen einen Stapel Formulare, den ich in meiner Wartezeit nun bitte ausfüllen möge: Im Prinzip meine Personaldaten, meine Ausbildung und meine beruflichen Kenntnisse.

Gesagt, getan, stolz trage ich sogar meine Sozialversicherungsnummer ein, die ich seit knapp 20 Jahren extra für diesen Anlass sorgfältigst aufbewahrt hatte. Als mein Name aufgerufen wird, präsentiere ich meine gewissenhaft ausgefüllten Formulare und werde anschließend von der Sachbearbeiterin erst einmal gebeten, meine Angaben aus dem Formular vorzulesen, damit sie sie in den Computer eingeben kann. Meine Frage, zu welchem Zweck ich die Formulare überhaupt ausgefüllt habe, spare ich mir kurzerhand, denn ich bin ja schließlich zum ersten Mal hier und möchte nicht vorlaut wirken. Auch ihre Bemerkung "Ach, Sie haben bisher in der Softwareentwicklung gearbeitet? Und nun werden Sie in der Entwicklungshilfe arbeiten? Das passt ja prima!" übergehe ich kommentarlos.

Fast entrüstet bin ich nun aber, als auch sie mich fragt, ob ich denn schwerbehindert sei. Gleichzeitig beschleicht mich aber noch so ein Gefühl, dass ich die Frage bisher vielleicht auch falsch beantwortet haben könnte. Was wäre wenn ich Sie mit "ja" oder "ein bisschen" oder "manchmal schon" beantworten würde? Artig schüttle ich aber den Kopf und lächele so dynamisch und intelligent es mir möglich ist, im Versuch, jegliche Zweifel meines Gegenübers zu zerstreuen.

Während sie mir dann langatmig und mit eher mäßigem Interesse erklärt, dass ich praktisch kaum Chancen auf Arbeitslosengeld hätte, zieht der Sachbearbeiter neben uns meine Aufmerksamkeit auf sich. Sein Gesicht erinnert mich an den etwas verhärmt dreinschauenden Spitzenkandidaten der Linken bei den bayrischen Landtagswahlen 2008. Er berät einen rüstigen Herrn, der offensichtlich ausländischer Herkunft ist und fängt an, sich zu ereifern:

"... ok, ok, hören Sie zu, hören Sie zu: Das machen wir anders. Sie gehen jetzt nicht zu ihrem Chef bei BMW. Erst mal lassen Sie sich krank schreiben. Ok? Verstehen Sie? Verstehen? Arzt! Nix unterschreiben bei Chef. Nix sprechen mit Chef. Erst gehen zu Arzt. Dort holen Attest. Gesundheitsattest. Verstehen Sie? Attest dass Sie krank. Dann gehen zu Chef und zeigen. Nix unterschreiben bei Chef, ok?
Warum? Weil: Nur noch 2 Jahre bis Rente. Dann alles ok. Ok?
Also: Gehen zu Arzt, bekommen Attest dass nix arbeiten, das zeigen bei Chef und dann noch 2 Jahre warten bis Rente. Dann alles ok. Ok? Ok."

Scheinbar geht es dem ausländischen Kollegen, der gerade so fleißig beraten wird, ähnlich wie mir; er schaut seinen Sachbearbeiter mit einer Mischung von Verwunderung und Unglaube an - so als ob er die Worte zwar versteht, aber nicht glauben kann, dass sie tatsächlich die Botschaft transportieren, die er verstanden hat.

Er nickt zögerlich.

Da sein Sachbearbeiter nun weder anfängt vor Lachen zu prusten, weil er einen so köstlichen Scherz fabriziert hat, noch dass er erbost aufspringt und ruft: "Ha! Jetzt bist du uns in die Falle gegangen, du Schmarotzer!", nickt er noch einmal etwas überzeugter, murmelt "ok, ok", verabschiedet sich, und wirft beim Hinausgehen noch einen leicht verunsicherten Blick über die Schulter.

Der Herr Sachbearbeiter widmet sich mit einem verstohlenen Robin-Hood Lächeln seinem Schreibtisch und seinen Formularen und feiert innerlich, wie ich meine, einen erneuten Sieg in seinem persönlichen Krieg gegen den Kapitalismus.

Ich verlasse die sogenannte "Agentur für Arbeit" und bin um zwei Erkenntnisse reicher geworden: Erstens, ich weiß, warum meine Sozialabgaben an die 40% betragen. Zweitens, meine Vorgehensstrategie für diese Art Vorhaben - welche Auskünfte ich gebe und wie ich Fragen beantworte - ist noch lange nicht ausgereift. Aber auch ich bin ja noch lernfähig...

Die Frage ist nur, ob ich das will ;-)

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